Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2015

2. Preis, Team der Badischen Zeitung

von Werner D’Inka

Zitat 1: „Der Journalismus ist eine Hölle, ein Abgrund, in dem alle Lügen, aller Verrat, alle Ungerechtigkeit lauert; niemand bleibt rein, der ihn durchschreitet.“ (Honoré de Balzac, um 1840)
Zitat 2: „Ein neues Blatt? Ich schlag als Titel vor ,Die Lüge‘ / Der Kopf der Zeitung zeige ihres Wesens Züge“ (Karl Kraus, 1927)
Zitat 3: „Lügenpresse“ (Pegida, 2015)

Sie sehen, der Leumund von Journalisten war noch nie der beste. Daran hat sich so viel nicht geändert. Was allerdings deutlich schlechter geworden ist, ist das sprachliche und gedankliche Niveau der pauschalen Medienkritik. Zwischen Balzac und Pegida öffnet sich eben doch ein weiter Raum.

Dass „die“ Medien und „die“ Mächtigen angeblich unter einer Decke stecken, ist heute an jeder Ecke zu hören. Je nach Standpunkt sind die Mächtigen mal CIA und NSA, mal ist es der Kreml, dann der Vatikan, die zionistische Weltverschwörung, die Bundesregierung, die Atom- oder die Windkraft-Lobby. Manchmal fragt man sich, wo all die Decken herkommen sollen, unter denen wir angeblich stecken.

Dabei ist dieses Ressentiment ganz leicht zu widerlegen. Besonders eindrucksvoll hat das die „Badische Zeitung“ getan. Sie hat ein Thema auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt, das die Stadtverwaltung am liebsten unter der Decke gehalten hätte. Unter der Decke, unter der die „Badische Zeitung“ eben nicht steckte. Das Beispiel wird noch eindrucksvoller, wenn wir uns vor Augen führen, worum es geht – um ein Thema nämlich, in dem tausende Fallstricke lauern.

Vor einem Jahr hielt in Freiburg eine Gruppe so genannter „unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge“ Polizei und Bürger wochenlang in Atem. Drei Dutzend junge Männer aus Nordafrika hatten in kurzer Zeit rund 200 Straftaten auf dem Kerbholz: Diebstahl, Raubüberfälle, Körperverletzung, Drogendelikte. Ein Polizeibeamter sagte: „Wer nachts alleine unterwegs ist, sollte den Stühlinger Kirchplatz meiden.“ Und in der Herz-Jesu-Kirche wurde während des Gottesdienstes auf den hinteren Bänken mit Rauschgift gedealt. So hatte sich Karl Marx das nicht vorgestellt, als er die Religion als „Opium für das Volk“ titulierte – er schrieb das übrigens in jenen Jahren, in denen auch Balzacs Eingangszitat entstand.

Ein solches Geschehen stellt jede Redaktion vor eine Herausforderung: Wie genau benennt man Täter, ohne Pauschalurteile zu schüren? Wo geht andererseits Zurückhaltung in Verharmlosung über? Wo verläuft die Grenze zwischen aufklärender, seriöser Berichterstattung und Panikmache? Die „Badische Zeitung“ hat diese nicht leichte Abwägung mit Bravour gelöst. Sie hat mehrere Monate lang kontinuierlich berichtet, beschrieben, nachgefragt, kommentiert – und sie hat die Dinge auf unaufgeregte Weise beim Namen genannt, als die Stadtverwaltung noch bestritt, dass es überhaupt ein Problem gebe.

Zu erwähnen, dass eine Gruppe junger Nordafrikaner Passanten überfällt, prügelt, Drogen verkauft, das zu benennen war nicht rassistisch. Es war nicht einmal eine Meinung, es war schlicht Empirie. Jeder Polizeibeamte, jeder Einwohner konnte es bestätigen. Es zu leugnen wäre realitätsblind gewesen. Dass es so ist, hat Ursachen – und über die müssen wir reden. Wer aber aus Angst vor falschen Freunden schweigt, verhält sich wie ein Kind, das glaubt, wenn es sich die Hand vor die Augen halte, sehe man es nicht.

Mit wenigen Sätzen hat der Kommentator der „Badischen Zeitung“ die Lage zutreffend so beschrieben: Es „herrschen Ohnmacht und die schiere Verzweiflung darüber, dass jugendliche Flüchtlinge in Freiburg über die Stränge schlagen, dass entlang der Rheinschiene osteuropäische Banden (...) operieren – und dass es hochgradig heikel ist, dies genau so auszusprechen. Selbst Medien wie die Badische Zeitung werden als Brandstifter verunglimpft, wenn sie die Taten einiger weniger Krimineller zum Thema machen. Doch solche Vorwürfe lösen den gegenteiligen Effekt aus. Nicht das Benennen eines Problems macht die Menschen radikal – sondern die Stigmatisierung derer, die es benennen“.

Zu denen, die versuchten, der „Badischen Zeitung“ das Etikett „ausländerfeindlich“ anzuhängen, gehörten auch Mitglieder des Gemeinderates. Hier zeigt sich wieder, wie recht jener britische Chefredakteur hatte, der sagte: „Journalismus heißt öffentlich machen, was bestimmte Leute am liebsten unter den Teppich kehren möchten. Alles andere ist Reklame.“

Die romantische und die realistische Sichtweise, wie ich sie nennen möchte, prallten im Oktober 2014 bei einer Diskussionsrunde im Rathaus noch einmal aufeinander, über die die „Badische Zeitung“ ebenfalls berichtete. Da sagte ein Soziologieprofessor der Pädagogischen Hochschule mit Blick auf die jungen Rabauken, Menschenrechte müsse man sich nicht durch Wohlverhalten verdienen und Untersuchungshaft dürfe nur ein letztes Mittel sein. Da knurrte ein Oberstaatsanwalt in der Runde zurück: „Wir ermitteln wegen Straftaten, und nicht weil es Flüchtlinge sind.“

Und damit kommen wir zur anderen Seite der Abwägung. Die möchte ich so skizzieren: Wir sind es den Flüchtlingen und unseren Überzeugungen schuldig, uns nicht von Vor- und Pauschalurteilen leiten zu lassen. Der Satz „Die sind so, und zwar alle“, gilt nicht. Ja, es gibt organisierte Kriminalität, es gibt Profiteure der Armut und es gibt Hintermänner, die arme Teufel zum Stehlen schicken. Aber es gibt auch den 17-jährigen Syrer, der in seinem Zimmer in der Wiehre voller Angst hochschreckt, wenn er das anschwellende Dröhnen hört. Es ist nur ein Zug, der vorbeifährt. Aber für ihn klingt es wie die Raketen in Damaskus. Über ihn hat die „Badische Zeitung“ ebenso geschrieben wie über den Merzhausener, der zwei jungen Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bietet und versucht, seinen Schützlingen den Sinn von Regeln zu vermitteln. Und sie hat ein ausführliches Interview mit dem Freiburger Polizeipräsidenten geführt, der ohne Umschweife von einem „nordafrikanischen Straßenmilieu“ mit hohem Gewaltpotential sprach, der aber auch sagte: „Wir können nicht alle wegsperren, die sich nicht an Regeln halten.

Kurzum: Die „Badische Zeitung“ ist dem beschriebenen Geschehen auf eindrucksvolle Weise gerecht geworden. Sie hat mit ihrer Arbeit ein herausragendes Beispiel für die Aufgabe und für die Verantwortung von Journalisten gegeben. Sie hat umfassend informiert, sie hat nachgefragt, sie hat dunkle Ecken ausgeleuchtet, sie hat erklärt und aufgeklärt, und sie hat dabei auf souveräne Weise Haltung gezeigt.

Natürlich sprachen wir in der Jury über die Frage: Soll in einem Wettbewerb, den die „Badische Zeitung“ ausschreibt, die „Badische Zeitung“ einen Preis gewinnen? Die Antwort ist ganz einfach: Ja, das darf sie und das soll sie. Denn erstens sitzen in der Jury nicht nur Vertreter der „Badischen Zeitung“, und zweitens bleibt gute Arbeit gute Arbeit, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Deshalb: Aufrichtigen Dank und große Anerkennung, verehrte Freiburger Kollegen, für dieses Lehrstück in seriösem, hervorragendem Lokaljournalismus, der so unentbehrlich bleibt, wie er immer war. Im Namen der Jury gratuliere ich Ihnen allen, die an dieser Artikelserie beteiligt waren, herzlich zu dieser hochverdienten Anerkennung.