Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2017

3. Preis, Kölner Stadtanzeiger

von Thomas Hauser

Auch bei öffentlichen Debatten gibt es Scheidepunkte. Bei der Flüchtlingsfrage war dies die Kölner Silvesternacht 2015/2016. Zwar malten einige schon zuvor apokalyptische Szenarien. Aber in dieser Nacht wurden solche Ängste real. Sie dienten damit auch jenen als Präzedenzfall, für die diese Willkommenskultur der Bundeskanzlerin nur ein Vorwand war, die Deutschen durch Massenzuwanderung zu Minderheiten im eigenen Land zu machen.

Nun gäbe es in der Sache viel zu sagen – zur Politik von Angela Merkel, den Zwängen an jenem Septemberwochenende 2015 in Ungarn, der politischen Diskussionskultur in Deutschland, den angeblich kriminelleren Ausländern und der europäischen Hilflosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen, an deren Migrationsdruck „der Westen“ nicht ganz unbeteiligt ist. Aber heute sollen Journalistenpreise vergeben werden. Deshalb ist zunächst einmal eine Irritation aufzuklären. Wieso kam diese Jury auf die absurd scheinende Idee, ausgerechnet die lokale Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht und ihre Folgen auszuzeichnen? Gab es da nicht jene ins hysterische tendierende Debatte über ein Totalversagen der Medien bei diesem Ereignis, über die angeblich politisch verordnete Zurückhaltung, die Taten beim Namen zu nennen, über die Medien als Kumpanen der Macht? Bingo. Was also kann daran preiswürdig sein?

Nein, ich will hier jetzt nicht vom kleinen gallischen Dorf erzählen, dass sich diesem Trend widersetzte. Die Stadt hatte zwar gallische Episoden in ihrer Geschichte, aber der Kölner Stadtanzeiger ist keine kleine Zeitung und dass die Polizei – die örtliche, wie die des Bundes – in dieser Nacht vieles falsch gemacht hat und die überregionalen Medien in den ersten Tagen danach auch, ist zwischenzeitlich hinlänglich dokumentiert. Dass es für Letzteres weniger ideologische als banale Gründe gab, ist auch bekannt und muss an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt werden.

Ausgezeichnet wird die Arbeit einer Regionalzeitung in diesen turbulenten Tagen. Die Kolleginnen und Kollegen dort haben ihre Arbeit nicht nur von Anfang an besser gemacht, als dies bundesweit wahrgenommen wurde. Sie haben, nachdem die Dimension der Ereignisse übersehbar wurde, und die öffentliche Diskussion hochkochte auch ihre Grenzen als Beobachter, Rechercheur, Analyst und Kommentator überschritten und die Bürgergesellschaft über eine „Kölner Botschaft“ mobilisiert, die von Prominenten wie Navid Kerami, Mariele Milliowitsch oder Wolfgang Niedecken initiiert und verfasst worden war. Diese Botschaft verweigert jede Toleranz gegenüber sexueller Gewalt, fordert den Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität und Konsequenzen aus dem Behördenversagen, tritt zugleich aber fremdenfeindlicher Hetze entgegen. Sie wurde in mehreren Sprachen verbreitet und fand viele, nicht nur prominente Unterstützer. Sie hat, so kann man vermuten, zur Befriedung der zwischenzeitlich gefährlich aufgeheizten Stimmung in Köln und Nordrhein-Westfalen beigetragen.

Nun mag man einwenden, dass es selbstverständlich sei, dass eine regionale Tageszeitung ihren Job macht. Man muss freilich die Umstände bedenken, unter denen diese Berichterstattung stattfand. Der Jahreswechsel 2015/2016 war für Arbeitnehmer außerordentlich attraktiv. Der 1. Januar war ein Freitag, das heißt von Donnerstag bis Montag ruhte das öffentliche Leben weitgehend, zum Teil sogar bis zum 7. Januar. Sicher nicht bei der Polizei aber man musste ja auch bei anderen Personen und Institutionen nachfragen. Wer mit polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit zu tun hat, weiß zudem, dass es nach einer solchen Nacht dauert, bis die für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Beamten einen Überblick haben und darüber auch reden wollen. Zwar gab es schon früh Hinweise bei einem „Nettwerk Köln“ auf Facebook. Doch diese Posts wiesen ausländerfeindliche Tendenzen aus und konnte auch deshalb nicht einfach als seriöse Quelle genutzt werden. Ignoriert wurden sie trotzdem nicht. Die erste Meldung des Stadtanzeigers zu den Vorfällen gingen um 13.21 an Neujahr Online. Die Reporter hatten erste Gespräche mit Opfern. Die Dimension der Vorfälle konnte zu diesem Zeitpunkt seriös noch nicht erkannt werden. Schon ein Tag später aber meldeten die Kollegen, dass die Polizei eine Ermittlergruppe eingeleitet habe und sich bereits mehr als 30 Opfer gemeldet hätten. Die, so hieß es damals vonseiten der Ordnungskräfte, rund 40 Täter seien polizeibekannte junge Männer, kennten sich untereinander aber nicht. Dass die Polizei mit den Ereignissen intern anders umgehe als nach außen, diesen Hinweis hatte Polizeireporter Tim Stinnauer zwar am 2. Januar erhalten. Ihn zu verifizieren, ohne die vertrauliche Quelle zu verbrennen, war aber wahrscheinlich nicht einfach. In der Montagsausgabe der gedruckten Zeitung wurde dann ausführlich berichtet, auch mit einer Nebengeschichte über die Personalprobleme der Polizei und dem Hinweis der Polizei, dass die Täter nichts mit den Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu tun hätten, die seit Monaten nach Deutschland kamen. Die Zahl der angezeigten Straftaten stieg und stieg.

Erst jetzt kommt die Geschichte ins Rollen, aber auch erst am Abend zuvor hatte der Polizeipräsident die Oberbürgermeisterin informiert. Und erst am 5. Januar geben Oberbürgermeisterin und Polizeipräsident eine Pressekonferenz. Der Rest ist bekannt. Für die Redakteurinnen und Redakteure des Kölner Stadtanzeigers begann eine Zeit intensiver Recherche aber auch eine der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit. Es galt schonungslos zu berichten ohne aufzubauschen, rücksichtslos Licht ins Dunkle zu bringen ohne sich vor einen der politischen Karren spannen zu lassen, die überall lockten. An dieser Arbeit waren viele beteiligt, besonders aber Chefkorrespondent Joachim Frank und Polizeireporter Tim Stinauer. Sie zeigt, wie schwierig es sein kann und wieviel Ausdauer es benötigt, die verworrenen Ereignisse einer solchen Nacht aufzuklären, vor allem dann, wenn die Protagonisten zum Teil ganz andere Interessen haben, Volten schlagen und zu täuschen versuchen. Dafür bedarf es einer starken, selbstbewussten und hartnäckigen Redaktion. Der Fall zeigt darüber hinaus, dass Regionalzeitungen auch für den Zusammenhalt der Zivilgesellschaft wichtig sind und dass sie dafür manchmal auch ihre beobachtende Rolle verlassen und selbst zum Akteur werden müssen. Das bleibt ein Balanceakt, diese Rolle kann leicht missbraucht werden. In diesem Fall aber war es richtig und ist es gelungen.

Der dritte Platz des Ralf-Dahrendorf-Preises für Lokaljournalismus 2017 geht deshalb an Joachim Frank und Tim Stinnauer, stellvertretend für die Redaktion des Kölner Stadtanzeigers für Ihre Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht und ihre Folgen. Ich darf die beiden und Peter Pauls auf die Bühne bitten, der zum Zeitpunkt der Ereignisse Chefredakteur des Kölner Stadtanzeigers war. Herzlichen Glückwunsch.