Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2019

1. Preis, Andreas Schmidt, Oberhessische Presse

von Berthold Hamelmann

„Firmen kritisieren Vergabe von Grundstücken/ Stadt­entwicklungs­gesellschaft Marburg zog Zusagen zurück“, lautete am 2. November 2018 die Überschrift der Titelgeschichte in der Oberhessischen Presse. Worum ging es? Obwohl bereits schriftliche Zusagen an zwei kaufwillige Firmen vorlagen, erhielt eine dritte den Zuschlag für die letzten freien Gewerbegrundstücke im Stadtwald. Für die beiden Konkurrenten um die begehrten Flächen in Marburg war es wie ein Schlag ins Gesicht, hatten sie doch in diese wichtigen Zukunftsprojekte viel Zeit und Planungskosten investiert.

War es wirklich ein „an sich völlig unproblematischer Vorgang“, wie der sozialdemokratische Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies fast vier Monate später Ende Februar 2019 zur Stadtwald-Grundstücksvergabe erklärte und gleichzeitig für ein Ende der „öffentlichen Beschädigung der Stadtentwicklungsgesellschaft“ warb?

Die Recherchen und Berichte der Redakteure Björn Wisker und Andreas Schmidt ergeben ein anderes Bild der umstrittenen Grundstücksgeschäfte zwischen der SEG (- einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft der Stadt Marburg mit einem Aufsichtsrat unter Vorsitz des Oberbürgermeisters), Kommunalpolitikern und Privatunternehmen.

Der seitens der SEG verabschiedete Deal, die raren Restflächen ausschließlich an den dritten Bewerber zu veräußern, platze aufgrund des öffentlichen Drucks durch die Berichterstattung der Oberhessischen Presse. Der Marburger Magistrat kippte letztlich den umstrittenen Verkaufsbeschluss.

Licht in das Gestrüpp gebracht zu haben zwischen vermuteter persönlichen Vorteils- bzw. parteipolitischer Einflussnahme, Inkompetenz der Beteiligten, den finanziellen Auswirkungen für die betroffenen Unternehmen bzw. für die Marburger Stadtkasse, juristisch ungeklärte Fragen bis hin zum Vorwurf des Geheimnisverrats – das alles bedarf eines langen Atems und einer Beharrlichkeit, wie sie die beiden Redakteure an den Tag gelegt haben.

Wenn dann noch beispielsweise das im Lesealltag oft spröde Thema „Gewerbeflächen“ in all seinen Facetten für die breite Öffentlichkeit verständlich aufbereitet wird, erfüllen die Medien - hier die Oberhessische Presse - auch ihre grundgesetzlich verankerte Aufgabe, Informationen umfassend, sachgerecht und verständlich wiederzugeben. Politische Probleme und Zusammenhänge erkennbar zu machen, durch entsprechende Kommentierung zu einem Meinungsbild beizutragen, all dies ist den beiden Journalisten vorbildlich gelungen. Um ein Sprachbild zu bemühen: Beim Klettern im Steilhang sind Björn Wisker und Andreas Schmidt nicht abgestürzt. Sie haben ihre Aufgabe bravourös gemeistert. Als Zeichen der Anerkennung erhalten sie den ersten Platz des Ralf-Dahrendorf-Preis für ausgezeichneten Lokaljournalismus 2019.

Gestatten Sie an dieser Stelle noch einen Einschub, wenn Sie so wollen „in eigener Sache“. Keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Jury hat der glaubhaft vorgetragene Vermerk der Oberhessischen Presse auf Einschüchterungsversuche Dritter, die mit Hinweis auf wirtschaftliche oder juristische Konsequenzen Einfluss auf die Berichterstattung gewinnen wollten. Der Wert einer freien, unabhängigen Presse, den auch der Ralf-Dahrendorf-Preis nachdrücklich unterstreicht, sollte Ansporn und Verpflichtung unserer Gesellschaft bleiben – ohne Wenn und Aber.