Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2019

3. Preis, Alice Echtermann, Weser-Kurier

von Annette Hillebrandt

Liebe Gäste,

der genaue Blick, er lohnt sich doch immer. Alice Echtermann hat ganz genau hingeschaut. Das haben ihre Leserinnen und Leser zu schätzen gewusst; die Resonanz auf diesen Text mit dem Titel „Zurück nach Uchting“ war ungewöhnlich hoch.

Wer genau hinschauen will, der braucht Zeit. Viele Redaktionen können oder auch wollen sich nicht Zeit nehmen, schon gar nicht viel Zeit. Eine ganze Woche für – nur – eine Geschichte? Puh. Da muss dann aber auch etwas Gewaltiges herauskommen…

Hier, bei dieser Geschichte über Uchting, kam gewaltig viel heraus. In der Menge sowieso: eine Reportage über sieben Seiten, dazu sechs Kurzporträts. Die Menge ist natürlich völlig unbedeutend, wenn auf diesen vielen Seiten nicht etwas erzählt wird, was die Leserinnen und Leser berührt, sie nachdenklich stimmt, ihre Neugier oder ihren Widerspruch weckt.

Genau dies ist Alice Echtermann gelungen. Sie schildert in ihrem Artikel über Uchting, den Bremer Stadtteil mit dem schlechten Ruf, so viele unterschiedliche Lebenserfahrungen, Wünsche, Erwartungen, Urteile und auch Vorurteile, dass eben kein kohärentes Bild entsteht. Und das ist dann wohl die Wahrheit dieser Momentaufnahme: Uchting ist besser als sein Ruf und Schattenseiten hat es auch.
So erzählen es alle Menschen in dieser Geschichte: Es sind etliche Bewohnerinnen, alte und junge, und nur die Amtsträgerinnen, die wirklich etwas zu sagen haben: zum Beispiel ein Polizist, ein Lehrer, eine Quartiersmanagerin.

Das ist gewiss die besondere Qualität dieses Dossiers: Hier kommen Menschen zu Wort, von denen selten etwas zu lesen ist, viel zu selten. Die sogenannten einfachen Bewohnerinnen und Bewohner. Ihnen hat sich die Autorin mit Respekt und Neugier genähert, hat deren Vertrauen gewonnen und sie verschweigt auch nicht, was diese Menschen so an vermeintlich politisch Unkorrektem äußern. Gut so! Denn Zensur hat hier nicht stattzufinden.

Zu einer weiteren Hauptperson dieser Geschichte ist noch etwas zu sagen: Es ist die Autorin selbst. Sie ist ja in Uchting aufgewachsen; das haben Sie, liebe Gäste, eben gehört. Das allein wäre kein Grund, von sich zu erzählen. Reporterinnen sind eher mal nicht interessant; was sie so denken und fühlen, kann den Leserinnen herzlich egal sein. Alice Echtermann hat sich jedoch entschieden, auch ihre Wahrnehmungen und Erinnerungen zu schildern. Da war die Jury zunächst leicht verstimmt und hatte Diskussionsbedarf. An dessen Ende stand folgende Einschätzung: Die Ich-Perspektive der Autorin tut dem Text gut. Sie verleiht ihm einen angenehm persönlichen Ton und sie stärkt die Glaubwürdigkeit der Schilderungen.

Sie sehen, liebe Frau Echtermann: Die Jury hat ihre schon etwas älteren Häupter höchst ernsthaft hin- und hergewogen! Umso wertvoller für Sie unsere Entscheidung!

So erhalten Sie im zarten Alter von 26 Jahren den dritten Preis des diesjährigen Ralf-Dahrendorf-Preises. Herzlichen Glückwunsch!