Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2015

1. Preis, Rafael Binkowski, Leonberger Kreiszeitung

von Thomas Hauser

Vergessen Sie ihre Klischees. Sie werden von der Wirtlichkeit immer wieder aufs Erstaunlichste übertroffen. Aber hören Sie selbst.

Es begab sich zu jener Zeit, als die Findigen noch belohnt wurden, dass ein Weltkonzern, der sich auf die Herstellung luxeriöser Sportwagen verstand, sein Entwicklungszentrum in einem kleinen schwäbischen Dorf mit Namen Weissach ansiedelte und dieses mit seinen Gewerbesteuermillionen geradezu flutete. Im Rathaus ließ das die Sektkorken knallen. Zugleich aber wuchs die Sorge, dass dieses Geld in fremde Hände gelangen könnte. Denn wie sollte man das Örtchen herausputzen, und das musste man ja nun, ohne fremden Firmen die Chance zu geben, sich als billigste Bieter die Millionen abzugreifen und die wackeren örtlichen Unternehmer damit leer ausgehen zu lassen. Dabei saßen einige von ihnen sogar im Gemeinderat.

Die Köpfe rauchten und gebaren eine Kommbau. Das ist eine Gesellschaft, natürlich mit begrenzter Haftung, die als Generalunternehmen künftig für die Gemeinde tätig werden sollte. Die zuständigen Amtsleiter wurden auch Geschäftsführer. Diese Gesellschaft baute all das, was gerade so anfiel – eine luxeriöse Halle, zwei Seniorenheime, ein Edelrestaurant und manches mehr. Die Wünsche wuchsen mit den Einnahmen. Aber Planer, Projektleiter und Bauunternehmer waren fast immer dieselben. Wenn diese heimischen Unternehmen bei Ausschreibungen nicht das preisgünstigste Gebot abgaben, war das auch kein Beinbruch. Dann wurde halt so lange nachverhandelt, bis es passte. Wer einmal nicht zum Zuge kam, wurde beim nächsten Mal bedacht. Kritiker wurden mit Drohungen mundtot gemacht. Dass die meisten Projekte deutlich teurer wurden als geplant, war egal. Das Geld floss ja in die gewünschten Kanäle. Und die Gemeinde kaufte die fertigen Objekte von der Kommbau zu dem Preis, der eben angefallen war. Verwaltung, Rat und Wirtschaft freuten sich, die Bürger waren ahnungslos. Es gab zwar Gerüchte, aber man munkelt ja viel.

Die Bürger blieben ahnungslos. Auch als einer zwischenzeitlich neu gewählten Bürgermeisterin diese Konstruktion suspekt vorkam, sie dieser nicht mehr alle kommunalen Projekte übertragen wollte und es darüber zu Machtkämpfen im Rathaus kam. Auch nicht, als ein Gemeinderat eine Phase als kommissarischer Bürgermeister nutzte, um zwei Wertpapierdepots auf das Konto der Bank zu leiten, in deren Vorstand er arbeitete. Und schon gar nicht, als die Gemeindeprüfungsanstalt die Vorgänge untersuchte und zahlreiche Unregelmäßigkeiten und Missstände anprangerte. Der eigentliche Skandal hat sie ohnehin nicht interessiert. Für eine scheinprivatisierte GmbH war sie nicht zuständig. Den Bericht hat man im Rathaus weggeschlossen und das Landratsamt, das die Kommune beaufsichtigt, hat zwar untersucht, aber es bei milden Rügen belassen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann genießen sie als ehrenwerte und hochdekorierte Bürger ihren Ruhestand. Dass der Genuss nicht ganz ungesühnt blieb, dafür sorgte Rafael Binkowski von der Leonberger Kreiszeitung, der Anfang des vergangenen Jahres von dem Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt erfuhr und sich durch der üblichen Mauer des Schweigens nicht von Nachforschungen abhalten ließ. Über sechs Monate hinweg hat er Beweise gesammelt, unzählige vertrauliche Gespräche mit Zeugen geführt und das Puzzle der krummen Geschäfte so zusammengesetzt. Neben offensichtlich vorteilshaften Bauvorgaben wurde eine ganze Reihe von Vergünstigungen für führende Kommunalpolitiker der Gemeinde aufgedeckt. Die Geschichte erschien dann zeitgleich in der Leonberger Kreiszeitung und in der Stuttgarter Zeitung und löste ein großes Echo aus. Zahlreiche weitere Zeugen meldeten sich, viele zusätzliche Hinweise gingen ein, die dann zu Folgegeschichten führten. Die Leser reagierten überwiegend positiv, die Betroffenen gewohnt: Man beschuldigte den Autor der Lüge, streute Gerüchte über ihn und drohte dem Verlag, Anzeigen zu stornieren.

Zwischenzeitlich aber war ein neuer Bürgermeister gewählt worden. Der versprach die Vorgänge aufzuarbeiten, die Kommbau aufzulösen und im Gemeinderat einen Kodex zu verabschieden, wonach man sich – hört, hört – künftig an die Vergabeordnung des Landesbaugesetzes halten wolle. Zudem werden Kontrollen eingebaut, die solche Vorgänge künftig verhindern sollen. Auch Transparenz wurde zugesagt. Wir sind gespannt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat infolge der Zeitungsberichte geprüft, ob Ermittlungen eingeleitet werden sollen. Dafür waren ihr aber leider die Hände gebunden. Die möglichen Delikte, wie Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme waren leider verjährt.

Was können wir daraus lernen? Dass Frechheit siegt. Das auch, aber das wussten wir leider schon. Dass Macht immer der Kontrolle bedarf und dass in Verwaltungen, vor allem dann, wenn es um Großbauten und damit um viel Geld geht, die Versuchung wächst, Systeme zu etablieren, in denen eine Hand die andere wäscht. Zulasten der normalen Bürger. Vor allem dann, wenn solche Bereiche in scheinprivatisierte Firmen ausgelagert und damit der öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen werden. Zumal in solchen Fällen oft auch Gemeinderäte als Aufsichtsräte der Faszination der Macht erliegen und mitspielen, statt ihrer Kontrollfunktion gerecht zu werden.

Gut, wenn es da Journalisten wie Rafael Binkowski gibt, die dieses Dunkel ausleuchten. Sie wandeln dabei auf einem schmalen Grat. Denn mit jeder Enthüllung fühlen sich jene bestätigt, die meinen, unsere Demokratie sei korrupt, werde von unfähigen Volksvertretern geführt, die Marionetten finsterer Wirtschaftsführer seien. Deshalb lohne es auch gar nicht, andere zu wählen. Das aber ist ein Irrtum. Wo Menschen wirken, gibt es Fehler und Verfehlungen. Demokratien verhindern sie nicht, aber das System von Machtbalance und gegenseitiger Kontrolle ermöglicht es, diese öffentlich zu machen, sie zu ahnden und die nötigen Konsequenzen zu arbeiten. Das gelingt manchmal besser und manchmal schlechter. Aber ohne Demokratie gelingt es immer schlechter. Dies deutlich zu machen und daran zu arbeiten, war für Ralf Dahrendorf ein wichtiges Anliegen. Solche Anstrengungen aufzuspüren, zu unterstützen und hervorzuheben ist das Anliegen des Ralf-Dahrendorf-Preises für Lokaljournalismus. Rafael Binkowski hat sich in dieser Hinsicht verdient gemacht. Er erhält deshalb den ersten Preis in diesem Jahr.

Herzlichen Gückwunsch.