Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2021

2. Preis: Benjamin Schmidt, Freie Presse Chemnitz und Alexander Roth, Zeitungsverlag Waiblingen

Gehalten von Annette Hillebrand, ehemalige Leiterin der Akademie für Publizistik in Hamburg

Liebe Gäste,

vielleicht hat die eine oder der andere von Ihnen die Rede von Angela Merkel zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober in Halle gehört. Wenn nicht, dann empfehle ich, dies nachzuholen. Auf youtube möglich…
Warum war diese Rede so eindrucksvoll?
Ja, die Kanzlerin hatte so persönlich gesprochen wie es oft von ihr erwartet, geradezu ersehnt worden war.

Vor allem aber hatte sie mit größter Ernsthaftigkeit gefordert, dass sich alle Menschen in Deutschland für den Erhalt der Demokratie einsetzen sollten. Deren Gefährdung beschrieb sie unter anderem mit folgenden Worten. Ich zitiere:

„Wir erleben (aber) in dieser Zeit zusehends Angriffe auf so hohe Güter wie die Pressefreiheit. Wir erleben eine Öffentlichkeit, in der demagogisch mit Lügen und Desinformation Ressentiments und Hass geschürt werden, ohne Hemmung und ohne Scham. Da werden nicht nur einzelne Personen oder Gruppen diffamiert, da werden nicht nur Menschen angegriffen wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihres Glaubens – da wird die Demokratie angegriffen.

Nicht weniger als unser gesellschaftlicher Zusammenhalt steht deshalb auf dem Prüfstand. Erschütternd sind auch die Angriffe auf Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen – ob Feuerwehrleute, Rettungssanitäter oder Kommunalpolitiker. Die verbale Verrohung und Radikalisierung, die da zu erleben sind, dürfen nicht nur von denen beantwortet werden, die ihr zum Opfer fallen, sondern müssen von allen zurückgewiesen werden.“ Zitatende Wenn wir diese Aufforderung ernstnehmen - nämlich die Verrohung zurückzuweisen - was könnten, was sollten dann Journalistinnen und Journalisten tun?

Nun, genau das, was Alexander Roth und Benjamin Schmidt getan haben. Der eine in Waiblingen in Baden-Württemberg, der andere in Chemnitz in Sachsen.

Beide Kollegen haben recherchiert, auf welche Art Kommunalpolitikerinnen bedroht werden; wer wie häufig – und, das halte ich für den wichtigsten Strang ihrer Berichterstattung: welche Wirkung diese Beleidungen und Bedrohungen entfalten und wie die Betroffenen sie zu bewältigen versuchen.

„Man gibt diesen Heckenschützen zuviel Macht“ – sagt die Gemeinderätin Gudrun Wilhelm; Sie haben es eben im Textauszug gehört.
Ja, das ist die wichtigste Lehre, die ich aus Ihrer Recherche ziehe, lieber Herr Roth, lieber Herr Schmidt. Die Betroffenen sollten unbedingt an die Öffentlichkeit gehen; nur dann können sie hoffen, Solidarität zu erfahren. Sie haben dazu die notwendige Vor- und Mitarbeit geleistet, in Ihren Berichtsgebieten. Das war und ist nicht nur ehrenvoll. Das ist Journalismus at it‘s best – das verdient ganz unbedingt einen Dahrendorf-Preis. Für Ihre Idee und Ihren Mut. Für die Recherche, die Geduld und die Ernsthaftigkeit, mit der Sie gearbeitet haben.

Kurz noch dies, bevor ich Sie endgültig beglückwünsche: Bedrohungen aller Art erleben auch Journalisten.
Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen weiß ich, wie sehr Angriffe und Beleidigungen Kolleginnen und Kollegen in Redaktionen zusetzen. Ich rede jetzt nicht von Russland, nicht von den Philippinen. Ich rede von Deutschland.

Und dass diese Journalisten und Journalistinnen mit genau den gleichen Zweifeln kämpfen wie die Politikerinnen: Sollen wir diese Bedrohungen veröffentlichen? Oder doch lieber wegdrücken? So tun, als gäbe es diese Aggressionen nicht? Lassen sie sich so vielleicht beherrschen?

Aber was, wenn sie doch allmählich ihr Gift verspritzen? Indem sie auf sehr subtile Weise bewirken, dass bestimmte Themen mal ein Weilchen nicht mehr angepackt werden? Weil die Resonanz auf die Berichterstattung erwartbar schrecklich werden wird?

Manches Mal schon haben ungehemmter Hass und Furor dafür gesorgt, dass Journalisten resigniert haben. Sie haben ihr bisheriges Berichtsgebiet aufgegeben; manche haben sogar ihr Hab und Gut in Kartons gepackt und sind umgezogen – in eine neue Stadt, mit neuem Auftrag, mit neuen Themen.

Hass und Hetze hatten ihnen zu sehr zugesetzt.
Ist das die von der Kanzlerin erwähnte Gefährdung der Pressefreiheit? In Deutschland? Ja, genau diese ist es.

Lieber Herr Schmidt, lieber Herr Roth: Bitte bleiben Sie dran an diesem so ernsten, belastenden, wichtigen Thema – sorgen Sie weiterhin für die notwendige Öffentlichkeit. Ob es um die Kommunalpolitik geht oder um Ihre Redaktion.

Herzlichen Glückwunsch zum 2. Platz des Dahrendorf-Preises 2021.