Rede von Schirmherrin Lady Christiane Dahrendorf

Wir haben allen Grund zu feiern: in den mühevollen Monaten zuhause sehnten wir uns danach, mit mehr als zwei Menschen in einem Raum zu sitzen um ein Thema zu teilen das uns am Herzen liegt.

Heute feiern wir kritischen Lokaljournalismus in Erinnerung an meinen verstorbenen Mann Ralf Dahrendorf. Zeitlebens war er ein „Zeitungsmensch“ als besessener Leser und Autor. Schon der Grundschüler schrieb mit seinem Vater die Familienzeitung, der Abiturient Beiträge für den NWDR, als Student im ersten Semester Artikel für die neugegründete Hamburger Akademische Rundschau. Bis zu seinem Tod wollte er keinen Tag leben ohne eine Zeile zu Papier zu bringen.

Für mich ist es Ehre und Freude, die Schirmherrin dieses Preises zu sein.

Die Anstrengung, die Hartnäckigkeit und den Mut der Journalistinnen und Journalisten sollten wir nach den Erfahrungen der letzten anderthalb Jahren besonders ins Bewusstsein rufen. Alle erlebten wir auf die eine oder andere Weise durch die Pandemie Verluste, Angst und Leid. Wenn Journalistinnen Angriffen auf die Pressefreiheit standhalten mussten während, sie gleichzeitig nur zuhause am Bildschirm arbeiten konnten, fehlte die Präsenz in der Redaktion die ihnen idealerweise den Rücken stärkt und Identität stiftet, noch bei informellem Austausch am Kaffeeautomaten. Recherche vor Ort war vermutlich erschwert, wenn der Spaziergang mit dem Hund den Radius bestimmte.

Zum Segen entwickelten sich neue Technologien. Aber wie kommt in solchen Zeiten die Welt vom Bildschirm in die Tageszeitung, die man nicht nur online sondern auch mit allen Sinnen erfahren will. Den Duft des Papieres, das Rascheln der Seiten? Insbesondere Alten und Kranken gab die bekannte Zeitung ein Fenster zur Welt in die Hände, um durch vertrauenswürdige Information vor Ort Angst zu mindern. In unsicheren Zeiten, bei Terror, Naturkatastrophen oder einer Pandemie steigt das Bedürfnis nach handfester Information und Transparenz. Für die Demokratie ist das wichtig, um das Vertrauen in Institutionen gerade in einer Krise zu erhalten.

Nach Forschungen der Soziologen Hartmut Rosa und Andreas Reckwitz wandten sich seit einiger Zeit die Menschen neben den Metropolen kleineren Städten und dem ländlichen Raum zu. Zu Zeiten von Corona wurde Wissen vor Ort für alle Bürger einmal mehr lebensnotwendig, mit entsprechender Aufwertung der lokalen Presse und ihrer Kenntnis der Menschen und Institutionen, bei allen Vor- und Nachteilen von ambivalenten, nicht perfekten Beziehungen und notwendigen Kompromissen.

Nachdem über Jahrzehnte Beschleunigung des Lebenstempos, der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung unsere beherrschende Erfahrung darstellte, hat sich der Focus verschoben: zu Orten, wo einzelne Ereignisse das Leben von Einwohnern und in der Folge die Wahrnehmung des ganzen Landes auf einen Schlag veränderten. Entsetzt erfuhren wir von systemischen Missständen in einer Fleischfabrik im Sauerland durch eine hohe Zahl an Corona Neuinfektionen. Marode Autobahnbrücken in NRW rückten den Zustand der Infrastruktur in den Blick.
Die Klimaerwärmung wurde glaubhaft und fassbar durch Überschwemmungen im Ahrtal.

Kritische Recherche vor Ort änderte manchmal den gesellschaftlichen Diskurs bis zur Gesetzgebung. Ich erinnere an die Preisträger vom Kölner Stadtanzeiger mit der Recherche zu den Ereignissen in der Silvesternacht 2015/16. Und manchmal zu mehr Demokratie: Zuzanna Caputova ist weiterhin die Premierministerin in Bratislava.

Wenn insgesamt Orte an Bedeutung gewinnen, wird auch die Demokratie zunehmend lokal wahrgenommen und nicht mehr in erster Linie als ein europaweites Projekt der großstädtischen, internationalen Eliten, so die Politikwissenschaftlerin Sophie Vériter. Kleine Städte und Metropolen könnten sich ergänzen, ihr Wissen teilen, und wechselseitig fördern. „Europa mein Revier“ heißt ein neues Projekt der DGAP in NRW.

Beides brauchen wir für best practice auch im Wettbewerb der Regionen:
Internationale Studien und beherzte Recherche über einen längeren Zeitraum durch kritische Wahrheitsfinder, denen standfeste Chefredakteure und Verleger Freiraum und Rückendeckung gewähren. Dann kann Regionaljournalismus für viele, unabhängig von Beruf und Bildungsstand, die Identifizierung mit einer Region stärken in einer von vielen Brüchen geprägten Gesellschaft.

Das Ergebnis der Wahl in Deutschland zeigt, wir haben auch in Krisenzeiten eine robuste Demokratie um die uns manche im westlichen Ausland beneiden. Wir sollten diesen Schwung nutzen: eine EU weite Umfrage des Forschungsteams von GA in Oxford ergab, 53 Prozent der jungen Europäerinnen und Europäer dächten, autoritäre Staaten seien besser geeignet, Krisen zu bewältigen. Wenn die Demokratie nicht „liefert“, könnten sich junge Europäer nach alternativen, autokratischeren Modellen umschauen. Das ist jetzt besonders aktuell: Der Bundestag wird jünger, weiblicher, diverser, farbiger. Für uns Ältere ungewohnt werden nach dieser Wahl Parlamentarierinnen und Minister die Politik unseres Landes schon in jungen Jahren gestalten. Nicht nur in der Klimakrise wird sich Europa für Jung und Alt beweisen müssen. Umso mehr als in den USA die Demokratie in weiten Teilen der Bevölkerung an Unterstützung verliert weil sie viele Amerikaner zunehmend skeptisch sehen. Die USA sind die einzige demokratische Weltmacht und waren als solche nicht nur Vorbild sondern hatten auch einen großen Einfluss Aufgaben zu definieren, bei Krisen weltweit Lösungen und Kooperation anzustoßen.

Im Herbst 2021 haben wir allen Grund zu feiern: Für ihre Bemühungen um die Wahrung der Meinungsfreiheit als Voraussetzung für Demokratie und dauerhaften Frieden wurde erstmals in 120 Jahren eine Journalistin und ein Journalist mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet: Maria Ressa und Dmitri Muratow.

Jetzt sind sie dran. 😉

Ich danke ihnen.