Laudatio Ralf-Dahrendorf-Preis für Lokaljournalismus 2021

Lobende Erwähnung: Simon Haas, Datenjournalist für die Badischen Neuesten Nachrichten

Gehalten von Ulrike Trampus, Chefredakteurin der Ludwigsburger Kreiszeitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie ist das mit Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren? Achten Sie, wenn Sie durch die Straßen einer Stadt gehen auf die Bäume am Straßenrand? Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, welche Baumarten dort gepflanzt sind? Und kennen Sie den Lederhülsenbaum?

Wie der Autor, den wir heute mit einer Lobenden Erwähnung der Jury des Dahrendorf-Preises ehren, recherchiert hat, ist dies ein Baum, der mächtig Arbeit macht. Denn er steht in sehr vielen Städten in Deutschland, obwohl er als Straßenbaum gar nicht geeignet ist. Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil der freie Journalist Simon Haas erkannt hat, dass dies ein interessantes Thema ist. Auch wenn seine Kolleginnen und Kollegen davon zunächst nicht überzeugt waren.

Tatsächlich ist sein Bericht „Das leise Sterben der Straßenbäume“ auch keine packende Reportage und sprachlich eher solides Handwerk. Aber er ist so notwendig wie aktuell - denn Klimaschutz ist das Zukunftsthema - und journalistisch bemerkenswert: Denn der Autor vereint eine Tugend, die uns Zeitungsmacher schon immer auszeichnete mit einer, die wir erst in der jüngsten Zeit lernen mussten: Die erst genannte ist Hartnäckigkeit und die zweite Technikaffinität.

An einem wichtigen Thema auch gegen Widerstände dranzubleiben, zu erkennen, dass es Relevanz hat und in einem größeren Zusammenhang steht, diese Fähigkeiten hat Simon Haas mit seinem Beitrag für die Badischen Neuesten Nachrichten unter Beweis gestellt. Dass er bei seiner Recherche von den Behörden nicht mit Informationen unterstützt wurde, hat ihn nicht dazu veranlasst, die Idee in einen Umzugskarton zu packen und auf den Dachboden der nie geschriebenen Stories zu verbannen, sondern wohl eher noch angespornt.

Und hier kommt die zweite Tugend ins Spiel: Technikaffinität. Ohne sie ist Journalismus kaum mehr vorstellbar, auch Lokaljournalismus nicht. Und so werden die Straßenbäume in Karlsruhe zum Datenprojekt und damit zu weit mehr als einem Bericht über das städtische Gartenbauamt. Simon Haas verglich nämlich die Straßenbaumliste der Gartenamtsleiterkonferenz mit dem Baumkataster der Stadt Karlsruhe und fand heraus: Die Bäume, die entlang der Straßen stehen und auch nachgepflanzt werden, sind oftmals die falschen, da sie sehr pflegeaufwändig sind und den veränderten Klimabedingungen auch nicht gewachsen sind. Dazu lieferte er umfangreiches Kartenmaterial, mit einem Klick kann man sehen, in welcher Straße der Stadt Karlsruhe welche Bäume gepflanzt worden sind und ob sie dort auch eine Überlebenschance haben.

In der digitalen Transformation, in der die Zeitungsbranche sich befindet, eröffnen sich unzählige Möglichkeiten, zusätzliche Informationen zum klassischen Bericht zu liefern und auch diejenigen für Lokaljournalismus zu begeistern, die lieber klicken als Zeitungspapier zu umzublättern. Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, bezeichnet den Rohstoff Daten als Treibstoff für Journalismus und empfiehlt: "Journalisten sollten datenaffin sein." Die lobende Erwähnung dieses lokalen Datenjournalismusprojekts soll auch diejenigen unter uns Journalisten ermuntern, die sich mit dieser strukturellen Veränderung unseres Berufes noch nicht so richtig anfreunden möchten. Das ist aber keine Frage des Wollens, sondern eine Notwendigkeit. Ich gratuliere Simon Haas herzlich zur lobenden Erwähnung und ermuntere ihn ausdrücklich, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.