Festrede von Thomas Fricker

vor Ihnen steht ein Praktiker - was soll so einer theoretisierend am Rednerpult, mag sich mancher von Ihnen fragen.

Die Frage habe ich mir auch gestellt.

Aber die Gelegenheit, ein paar Gedanken zur Lage des Journalismus vortragen zu dürfen, war dann doch zu reizvoll. Zum einen, weil es bekanntlich auch einem Praktiker nichts schadet, wenn er von Zeit zu Zeit das eigene Tun hinterfragt, wenn er darüber nachdenkt, was im Tagesgeschäft richtig, aber womöglich auch falsch läuft. Zum anderen, weil es mir als immer noch ziemlich frischgebackenem Chefredakteur der Badischen Zeitung eine Ehre ist, das Ergebnis solchen Nachdenkens gerade aus Anlass der Verleihung des Ralf-Dahrendorf-Preises mit Ihnen zu teilen.

Ich bin lange genug in Freiburg, um Lord Dahrendorf bei der BZ noch persönlich erlebt zu haben - als Gast in Redaktionskonferenzen, als spannender Diskussionspartner bei gemeinsamen Mittagessen, am Telefon, wenn wir die Themen seiner Leitartikel durchsprachen. Was mich immer wieder fasziniert hat, war sein immenses Wissen, verbunden mit der Fähigkeit, selbst komplexeste Zusammenhänge anschaulich auf den Punkt zu bringen, ohne dass sich deshalb gedankliche Unschärfen oder auch nur ein falscher Zungenschlag in seine Aussagen eingeschlichen hätte.

Komplizierte Sachverhalte aufgreifen, verstehen und dann verständlich über sie berichten - das ist ja auch ein Wesenskern von Journalismus, und es war wohl kein Zufall, dass Dahrendorf diesen Journalismus gerade von Zeitungen unserer Machart erhoffte: „Die Regionalzeitung ist nach wie vor die prägende Kraft einer Gesellschaft, die in bestimmter Weise dezentral strukturiert ist“, sagte er einmal – den Kontext erspare ich mir jetzt, weil ihn Herr Hodeige zu meinem Pech eingangs schon zitiert hat. Dafür will ich eine Interpretation meinerseits nachschieben, die da heißt: Die Zeitung „prägt“ auch deshalb, weil im Lokalen und Regionalen die Themen in den Lebenswelten der Menschen besonders verankert und deshalb besonders nachvollziehbar zu erzählen und für die Leserinnen und Leser zu begreifen sind.

"Verankert" heißt nicht "begrenzt"!

Falsch war es immer, aber in Zeiten der Globalisierung wird erst recht klar: Themen, seien sie politischer, gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Natur, kennen keine Grenzen. Die Bewohner am Kaiserstuhl sind mit der Herausforderung von Unterbringung und Integration von Flüchtlingen konfrontiert, weil Baschar al-Assad in Syrien sein Volk mordet, aber auch, weil junge Afrikaner auf ihrem Kontinent für sich keine Lebensperspektive sehen, wohl aber via Internet den verlockenden Wohlstand in einer der reichsten Industrienationen der Welt. Sollte Donald Trump seine Twitter-Schwüre wahrmachen und Strafzölle auf ausländische Autos verhängen, werden bei baden-württembergischen Autozulieferern etliche Lichter ausgehen. Umgekehrt waren Entwicklungen in der Provinz oft genug Auslöser für nationale oder internationale Veränderungen. Das „Nai hammer gsaigt“ südbadischer Landwirte war so gesehen Mit-Initiator einer Bewegung hin zu Umweltschutz und nachhaltiger Lebensweise. Bestimmt hat diese Bewegung weltweit noch nicht gesiegt, aber so erfolgreich ist sie immerhin, dass die Partei, die hierzulande daraus entstand und die Ökologie zum Markenkern machte, heute darum kämpfen muss, nicht für überflüssig gehalten zu werden.
Daran ändern übrigens auch grüne Oberbürgermeister oder Ministerpräsidenten nichts.

Die Frage ist: Was bedeutet diese enorme Komplexität der Themen und ihre intensive Vernetzung auf allen möglichen geographischen und gesellschaftlichen Ebenen für den Journalismus? Was heißt das für unsere Arbeit?

Um dies wenigstens ansatzweise zu beantworten, braucht es erst einmal eine Idee dessen, für was Journalismus eigentlich gut sein soll? Sind wir Berichterstatter Chronisten des Zeitgeschehens? Schreiben wir auf, was ist im Sinn eines flüssiger geschriebenen Protokolls? Chronik und Protokolle waren einmal. Und auch das Verkünden weiser oder weniger weiser Magistratsbeschlüsse war früher sicherlich eine prima Sache – damals als die ersten Zeitungen Herolden und Ausrufern den Job streitig machten. Im Kern geht es aber darum, durch das Heranschaffen und Aufbereiten von Informationen Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, mündige Mitglieder einer Gesellschaft zu sein und das Gemeinwesen, auf welcher Ebene auch immer, demokratisch mitzugestalten. Das klingt pathetisch – und soll es übrigens auch, denn auf diese Aufgabe dürfen wir Journalisten – und auch die Verleger, nicht nur, weil meine im Saal sind - ruhig stolz sein; ich bin´s jedenfalls.

Allerdings – und das sage ich jetzt nicht nur, um uns alle wieder auf den nüchternen Boden zu holen – hat dieser Journalismus eben nie nur das Aufdecken von Missständen, die Kontrolle der Mächtigen oder den virtuos geschriebenen Leitartikel bedeutet, sondern immer auch: simplen Service, nackte Basis-Infos. Mindestens in der Vor-Internet-Zeit zählte dazu oft genug die bloße Chronistenpflicht. Oder auch die Meldung über die nächste Gemeinderatssitzung, inklusive korrektem Termin und Thema, weil sonst viele Bürger gar keine Chance gehabt hätten, sich in ein kommunales Streitthema einzuklinken. Bis heute bleibt eine gewisse Portion nachrichtliches Schwarzbrot Grundnahrungsmittel von Kommunikation und Debatte.

Es mag mit Selbstbild und Eitelkeit zu tun haben, dass die meisten von uns Journalisten Schwarzbrot nicht sonderlich schätzen. Die Versuche, unsere tatsächlich bedeutsame Rolle immer noch bedeutungsvoller zu interpretieren – und dadurch zu gefährden – sind Legion.

Ich erinnere mich noch gut an meine Anfangsjahre als Korrespondent mehrerer Regionalzeitungen in Bonn. In den frühen neunziger Jahren war die Mehrzahl der bundespolitischen Berichterstatter parteipolitisch gebunden oder mindestens klar verortet. Es gab Hintergrundkreise, in die man nur mit SPD-Parteibuch berufen und dann mit dem Genossen-Du begrüßt wurde, es gab Kohlianer, denen die Kanzlerschaft des Pfälzers wichtiger schien als diesem selbst – für etliche Kollegen schien journalistische Aufklärung immer dann besonders wichtig, wenn das eigene Lager davon profitierte. Propaganda, Meinungsmache sind keine Erfindung des Social-Media-Zeitalters, aber davon später mehr…

Übrigens wurde man, wenn man sich dieser Muster entzog, durchaus nicht überall mit offenen Armen empfangen. Im Gegenteil. Nichts irritierte Parteisprecher und Strippenzieher mehr, als wenn ein Journalist nicht politisch zuzuordnen war! Zugleich wuchs allerdings der Wunsch nach sauber recherchierten, einordneten Texten. In manchen Redaktionen, wohl auch bei Lesern wurde „Erklären“ wichtiger als „Überzeugen“. Ich behaupte: Dieser Pragmatismus hat dem Journalismus insgesamt gut getan. Verstünden wir Journalisten uns heute noch so häufig als Prediger mit annähernder Unfehlbarkeit wie in den 80er und 90er Jahren, sähe es für unsere Branche, unseren Berufsstand inzwischen zappenduster aus.

Eitel Sonnenschein ist ohnehin anders.

Ich will Sie hier nicht mit einem Klagelied langweilen, das niemandem nutzt, selbst wenn es noch so oft angestimmt wird. Aber allein die Vielzahl der inzwischen verfügbaren Medien hat deren Bedeutung und unsere Arbeit massiv verändert. Erst schossen private Fernseh- und Rundfunksender wie Pilze aus dem Boden, dann vervielfältigte sich die Zahl der Informations- oder auch nur Pseudo-Nachrichten-Angebote durch das Internet. Seit Jahren schließlich kann neben den großen (und auch regionalen Platzhirschen) jede Kleingruppe und praktisch jede Einzelperson über blogs, eine clevere Youtube-Serie oder gut gemachte Facebook-Seite zum Produzenten und Publizisten werden - und das übrigens nicht einflusslos irgendwo in den Weiten des Netzes, sondern zumindest mit dem Potenzial, beachtliche Wucht zu entfalten.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht ja von den „vernetzten Vielen“, die als Medienkritiker, Meinungskorrektiv und Protestgemeinschaft zu einer „fünften Gewalt“ geworden seien - und die Politik von Staaten und Unternehmen beeinflussten.

Etwas simpler aus der Sicht des Praktikers: Wenn heute bei der Morgenlage im Kanzleramt überlegt wird, wie man auf einen shitstorm reagiert, nachdem Angela Merkel einem Flüchtlingskind wahrheitsgemäß erklärt hat, dass dieses Kind nicht unbedingt in der Bundesrepublik werde bleiben können, ist das ein Beispiel für die Kraft des Netzes. Seinerzeit sprangen aber auch fast alle klassischen Medien auf das Thema der vermeintlich Eis-Kanzlerin an. Dadurch wuchs der Druck auf Merkel weiter. Im Nachhinein trug der Wirbel womöglich zu mancher späteren Entscheidung in der sogenannten Asylkrise bei, die die Politik sonst anders getroffen hätte – und wenn es bloß keine Selfies von Asylbewerbern mit der Kanzlerin gegeben hätte, die wie Werbefotos um die Welt gingen, aber auch zur Munition für rechtslastige Asyl-Gegner wurden.

Und der Einfluss des Netzes macht auch vor uns regionalen Medien nicht halt. Sei es, dass lokale Facebookseiten nach bestimmten Verbrechen die Nationalität von Tatverdächtigen hinausposaunen, bevor wir überhaupt abgewogen haben, ob diese Nennung im konkreten Einzelfall nach dem Pressekodex statthaft ist oder nicht. Sei es, dass wir unter erheblichen Rechtfertigungsdruck geraten.

Rechtfertigungsdruck – das klingt furchtbar negativ, aber ist zunächst einmal – auch wenn es unbequem ist - nichts Schlechtes. Ich halte nichts davon, auf diesen Druck nur mit Sturheit zu reagieren nach dem Motto: Irgendwelche Internet-Aktivisten wollen, dass wir unsere Berichterstattungs-Standards kippen? Vorher gießen wir diese Standards ohne Wenn und Aber in Beton!

Nein, ich glaube, der Druck ist nicht nur legitim. Es ist gut, wenn er uns zwingt, unsere Arbeit zu begründen. Das gelingt bekanntlich nur, wenn man sie immer wieder prüft, wenn man schaut, wo welche Praxis heute noch sinnvoll ist oder nicht, wo Standards und Regeln verteidigt und wo sie eventuell geändert oder verbessert werden müssen. Wir sollten weder in ein trotziges „Weiter-so“ verfallen noch dürfen wir uns von irgendwelchen Wut- oder Protestströmungen im Netz treiben lassen. Um was es immer wieder geht, ist dieses: Wir müssen um unsere Relevanz und unseren Stellenwert im Gemeinwesen kämpfen. Jeden Tag neu – oder in Online-Zeiten besser gesagt: rund um die Uhr. Heute eben in einem komplizierteren, schwierigeren Umfeld als früher, einem Umfeld, das aber auch neue Chancen birgt!

Wie macht man das, wie behauptet man sich?

Bestimmt nicht, indem sich unsereiner von einigen auf den ersten Blick ermutigenden Umfragen und Forschungsergebnissen einlullen lässt. Vor ein paar Monaten fand hier in Freiburg eine ziemlich spannende Diskussion über journalistisches Selbstverständnis statt. Dabei präsentierte uns der Journalistik-Professor Tanjev Schultz jede Menge Daten, unter anderem auch darüber, dass nur eine verschwindende Minderheit aller Internet-Nutzer dieses Medium aktiv nutze; also Beiträge teilt, kommentiert, gar selber Blogs verfasst usw.. Heißt das, dass also die Aktivitäten jener Minderheit maßlos überbewertet würden? Ja, wenn man ihr Gewicht gegenüber dem klassischer Medien bezogen auf die Gesamtheit der Themen betrachtet. Aber nein, wenn es um Reizthemen geht. Tanjev Schultz zitierte unter anderem eine Allensbach-Studie vom Februar. Danach gingen 73 Prozent aller befragten Bürger davon aus, dass „die Medien“ nicht glaubwürdig über Flüchtlingskriminalität berichten. Und dies obwohl zugleich 74 Prozent der Befragten erklärten, „die Medien“ berichteten glaubwürdig über die „Situation in der Region“. Offenbar besteht eine Kluft in der Wahrnehmung unserer Arbeit bei vielen Menschen: Weiterhin beträchtliches Vertrauen im Allgemeinen, aber Misstrauen im Konkreten. Gerade mit Blick auf den eingangs formulierten Anspruch, dass besonders regionale Medienhäuser die Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten abholen und dadurch passgenau über alles durchdringende Themen informieren sollten, ist das kein geringes Problem.

Patentrezepte zu dessen Lösung sind nicht erkennbar. Viele unter Ihnen werden es wissen: Wie überall gibt es auch im Journalismus Moden und Trends. Zuletzt machte das Modell des sogenannten konstruktiven Journalismus die Runde. Nicht immer darüber schreiben, was falsch läuft, sondern darstellen, was gut funktioniert und warum das so ist – ja, das ist sicher gut gemeint und manchmal auch ganz prima, aber als Schema zu durchsichtig und bemüht: Glaubt jemand, damit ließe sich eine skeptische Gesellschaft einfach so wieder umpolen?

Ähnlich ergeht es einem Journalismus, der bei der Wahl seiner Themen und der Art seiner Texte vorrangig die eigenen für idealistisch gehaltenen Ziele verfolgt. Ich riskiere hier mal eine politisch fraglos unkorrekte These: Es gab Jahre, da wurde in bundesdeutschen Lokalteilen, aber auch darüber hinaus so viel über gesellschaftliche Nischen und Minderheiten berichtet, dass sich mancher wie auch immer geartete „Normalo“ in seiner Zeitung heimatlos zu fühlen begann.
Und es gab und gibt immer wieder Situationen, da erliegen wir Journalisten der Versuchung, eine von uns für gut gehaltene Sache durch entsprechende Berichterstattung zu befördern. Im Unterschied zu früher fliegen uns einseitige, entweder beschwichtigende oder skandalisierende Texte heute allerdings in Echtzeit um die Ohren. Das zwingt zu einer Rückbesinnung auf handwerkliche Tugenden.

Hanns Joachim Friedrichs - nie war sein bekanntestes Statement aktueller als heute. Ich zitiere: „Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“ (Spiegel-Interview)

Sie dürfen das Wort Zuschauer gerne durch Leser/ User ersetzen.

Zum Handwerk gehört Können und Solidität. Das wiederum heißt: Wir dürfen unser wichtigstes Pfund, die Glaubwürdigkeit, nicht immer hemmungsloser der Geschwindigkeit opfern. Es ist keine Schande, wenn Journalisten nicht immer sofort alles wissen. Es ist eine Schande, wenn wir verschlafen wirken und noch schlimmer, wenn unsere Arbeit Verantwortungsbewusstsein vermissen lässt. Konkret heißt das: Ja, uns bleibt in einer Zeit einer unbändigen, permanent für alle verfügbaren Informationsflut gar nichts anderes übrig, als schnell zu sein, sehr schnell sogar. Aber wir dürfen nicht versäumen, die User im Zweifel auf die Vorläufigkeit einer Nachricht hinzuweisen. Wir dürfen nicht aufhören, parallel vernünftig zu recherchieren. Alles, was seriösen Journalismus ausmacht – die Verwendung verlässlicher Quellen, Persönlichkeitsrechte, besondere Vorsicht bei Verdachtsberichterstattung und anderes mehr – , muss gelten, im Netz und später - hoffentlich ausgeruhter - erst recht in der gedruckten Zeitung.

Dabei ist Recherche, ist Wahrheitssuche heute oft mühsamer als früher. Weil im Großen die Möglichkeiten zu Manipulation und Propaganda fast unermesslich geworden sind – durch social bots, die als virtuelle Millionenheerscharen Meinungen und Trends zu beeinflussen suchen, aber auch weil Regierungen, Geheimdienste oder auch Wirtschaftsunternehmen das Fälschen von Fakten ganz bewusst als Strategie einsetzen.

Der Hotelier mit der Haartolle hat den Ausdruck „Fake news“ zwar weltweit auf unnachahmliche Art populär gemacht. Aber die Suche nach gefälschten Nachrichten und ihre Richtigstellung beschäftigt heute auch unabhängig von Trump die Redaktionen weltweit – und oft genug sind diese Redaktionen dabei überfordert. Woher soll ein Nachrichten-Redakteur in Kiel oder Konstanz denn auch wissen, ob der Panzer auf einem Youtube-Video, das angeblich ukrainische Soldaten im Kampf gegen Separatisten zeigt, in Wahrheit ein Modell ist, das nur von Russen oder von Russland unterstützten Kräften eingesetzt wird? Oder dass Bilder von einem vermeintlich top-aktuellen Giftgasangriff gegen die syrische Zivilbevölkerung schon zwei Jahre alt sind – aber von Aktivisten neu ins Netz gestellt wurden, weil es - vielleicht - tatsächlich einen ähnlichen Angriff gegeben hat, aber eben keine Bilder, die Weltöffentlichkeit nach Überzeugung der Aktivisten aber trotzdem alarmiert werden sollte? Vieles lässt sich nur mit Spezialisten aufklären. Bei der „dpa“ bauen sie gerade eine Faktencheck-Verification-Einheit auf, übrigens angedockt an einen Social-Web-Radar; das Recherchezentrum correctiv versucht sich an einer Internetseite namens „echtjetzt“, wo man strittige Nachrichten zur Überpüfung vorschlagen kann. Selbst Google und Facebook schmücken sich neuerdings mit allerlei Fakten-Check-Aktivitäten. Fakt ist, ein Gutteil des gefakten Mülls verdanken wir diesen Giganten des Netzes.

Zugleich sind „fake-news“ aber auch zum politischen Kampfbegriff geworden – und zwar exakt im Sinne Trumps, der bekanntlich nicht nur selbst fake news verbreitet, sondern notorisch alles zu fake news erklärt, was ihm nicht in den Kram passt.
Ein Beispiel, der uns zurück in den Alltag einer Regional- und Lokalzeitung führt: Hier in Freiburg gab es im April eine, ich sag mal, angeregte Debatte darüber, wie die Stadt ihr 900-jähriges Jubiläum feiern solle. Unsere Lokalredaktion recherchierte, dass es für ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Grob-Konzept im Gemeinderat keine Unterstützung geben würde, und wir veröffentlichten das. In der Folge hielt uns ein bedeutender Vertreter einer hier beheimateten Akademie vor, wir würden fake news verbreiten. Sein Argument: Wir hätten durch unsere Berichterstattung den Freiburger Gemeinderat erst dazu gebracht, das glorreiche Konzept in die Tonne zu treten.

Ach, wenn die Macht der Presse nur so groß wäre!

Doch Vorsicht: Wäre das wirklich so gut?

Um was es geht, ist Selbstbeschränkung. Aber nicht, um mit der bequemen Ausrede, wonach die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen angesichts von Sparzwängen und ständigen Zusatzaufgaben ohnehin zu wünschen übrig ließen, Termin-Journalismus zu betreiben, zwischendurch eine Geschichte zu schreiben, ansonsten Pressemitteilungen abzupinseln und eine ruhige Kugel zu schieben. Sondern um gerade unter schwierigeren Rahmenbedingungen Öffentlichkeit zu schaffen, eine informierte Diskussion zu ermöglichen, eben dadurch das Gemeinwesen zur Selbstorganisation zu befähigen.

Wollen die Menschen das denn überhaupt noch?

Ungeachtet sinkender Druckauflagen: Ohne Wenn und Aber ja! Nie war das Bedürfnis nach Informationen stärker, nie waren die Reichweiten journalistischer Inhalte größer – die Frage der Refinanzierung steht auf einem anderen Blatt. Allerdings wollen die Leute diesen Journalismus sicher nicht für alle Zeiten in derselben Form und Anmutung. Manchmal fällt mir, wenn ich an unsere Zeitung denke, das Freiburger Münster ein. Das überlebt auch bloß als Dauerbaustelle. Und eine permanente Werkstätte für Veränderung, Erneuerung muss auch jedes Medienhaus sein. Wenn sich die Lesegewohnheiten ändern, muss ich dem Rechnung tragen, sei es durch mehr oder andere Fotos, durch neue Textzugänge, Graphiken oder Stilformen. Wenn die Familie nicht mehr am Frühstückstisch zusammensitzt, sondern Singles mit dem Coffee-to-go zur Straßenbahn sausen, wird es höchste Zeit für eine komprimierte Nachrichten-App. Das Verhältnis zwischen Information und Unterhaltung wird sich wandeln, ebenso werden sich lokale oder regionale Ausgabenzuschnitte ändern, wenn die Mobilität der Leute zu- und die Identifikation mit ihrer Kerngemeinde, die Bindung ans unmittelbare Umfeld abnimmt. Übrigens bietet bei all diesen Themen eben die digitale Welt enorme Potenziale – die wir gerade erst auszuschöpfen lernen.

Bei all den Veränderungen muss aber immer das journalistische Handwerk im Mittelpunkt stehen. Unsere Neugier, spannende Themen zu entdecken, ist der Antrieb. Unsere Bereitschaft, den Interessen und Bedürfnissen unserer Leser nachzuspüren, die Voraussetzung dafür, nicht abgehoben am Publikum vorbei zu produzieren. So wie das Erklären unseres Tuns inzwischen untrennbar zum Beruf gehört. Am wichtigsten aber ist und bleibt der Kompetenz-Rucksack. Theoretiker mögen trefflich darüber räsonieren, weshalb dieser Rucksack niemals perfekt gepackt ist, obwohl man ihn doch ständig vollzustopfen versucht. Als Praktiker schultere ich ihn so gut und so schwer es eben geht und kann das uns allen nur empfehlen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit